Fragen zum Eltern-Sein (Generationen-unterschied & Belastbarkeit)

Letzte Woche waren wir beim Kinder-Coiffeur und die Coiffeuse hat erzählt, dass ihre Mutter damals innert 5 Jahren vier Kinder bekam. Alle hätten Stoffwindeln getragen, welche auch ständig gewaschen werden mussten und dennoch habe ihre Mutter alles alleine gemacht inkl. restlichem Haushalt, kochen etc. und sie frage sich manchmal, was mit unserer Generation passiert ist; wieso wir nicht mehr gleich “belastbar” oder gar “verweichlicht” seien.

Und ich muss ehrlich sein, auch ich frage mich immer mal wieder, was dazu geführt hat und auch weiterhin führt, dass wir das Eltern-Sein heutzutage oftmals als sehr intensiv erleben. Und natürlich fallen mir mit meinem definierten Kopf im Human Design auch mehrere Gründe dafür ein aber da ich es liebe, meine eigene Perspektive zu erweitern, habe ich auf Instagram nach anderen Gedanken dazu gefragt. Und da ich darauf so viele Nachrichten erhalten habe und viele darum gebeten haben, die Antworten zu sehen, findest du hier eine Zusammenfassung davon.


Veränderte Haltungen in der Begleitung unserer Kinder

Mehrfach genannt wurde der veränderte Erziehungsstil im Vergleich zu früher. Heute werden Kinder verstärkt bindungs- und bedürfnisorientiert oder autoritativ statt autoritär begleitet, was mehr Ressourcen und Kapazität erfordern kann. Gleichzeitig ist auch das Sicherheitsdenken grösser geworden und man überlässt die Kinder weniger sich selbst, sondern möchte wissen, was sie wo und mit wem machen. Hinzu kommt, dass viele Eltern das Gefühl haben, ihre Kinder aktiv beschäftigen zu müssen, was wiederum mehr Termine und Organisation zur Folge hat oder sie auch aktiv fördern möchten (worin ich persönlich übrigens einige Bedenken habe, da gerade die Bedeutung des freien Spiels dabei oft zu kurz kommt und dies besonders in den ersten 6 Lebensjahren die beste “Förderung” wäre). Als weiterer Grund wurde genannt, dass die Kinder heute häufig über mehrere Stunden in Kitas oder Horten betreut werden und die längere zeitliche Trennung von den Eltern auch neue Herausforderungen mit sich bringen kann (beispielsweise dass man nicht genau weiss, was vorgefallen ist oder wie intensiv ein solcher Tag für das Kind sein kann und dann auch mehr Regulation erforderlich ist).

Mehr Gefühl

Auch mehrfach erwähnt wurde, dass unsere Generation mehr “fühlt”. Dass wir uns mehr mit uns selbst, unseren Emotionen und Prägungen auseinandersetzen, um auch vieles auflösen und anders machen zu können. Ein Mami schrieb mir, dass wir vielleicht nicht verweichlicht, sondern einfach ehrlich sind - ehrlicher mit uns selbst, auch was unsere Gefühle betrifft. Ein anderes Mami schrieb;

“Vilicht isch es ja ned eso dass mer verweichlecht sind, sondern en Generation wo wieder is fühle zrugg gfunde hend und die Kriegs- und Nachkriegsgeneratione hend im Überlebensinstinkt Härti halt ame als Stärchi afo gseh und Weichheit (mit sine Bedürfnis und Gfühl offe umgah) als Schwächi.”

Informationsüberfluss & Verankerung im Kopf

Ebenfalls mehrfach genannt wurde der Informationsüberfluss. Vermutlich hatten wir noch nie einen solch grossen Zugang zu Informationen. Es gibt unzählige verschiedene Expert*innen, unterschiedliche Haltungen, Studien usw. Und all dies kann auch überfordern, verunsichern und zusätzliche Ressourcen in Anspruch nehmen. Hinzu kommt, dass Eltern den Druck spüren, noch mehr wissen zu müssen, um auch alles “richtig” zu machen und dem eigenen Kind “nicht zu schaden”. Und ich glaube gerade hier ist unsere Generation durch die Sensibilisierung für gewisse Themen und das Aufarbeiten der eigenen Kindheit in einem anderen “Extrem” gelandet , denn nicht alles ist gleich traumatisierend und in vielen Hinsichten dürfen wir auch wieder etwas lockerer werden und uns davon lösen, alles “perfekt” machen zu müssen. Ein Mami hat mir dazu geschrieben:

“Was isch streng? Sinds eusi Chind oder euses Umfeld, wo eus überall sege wet wie mers doch mache söllet und au e Angst ume esch, dass euses Verhalte bi eusne Chind e psychischi Störig chönnt verursache?”

Und gerade in unserem Informationszeitalter kann es auch schnell passieren, dass wir dabei unser eigenes Gefühl ignorieren, unsere Authentizität verloren geht und wir vielleicht etwas machen, was uns gar nicht entspricht, nur weil uns gesagt wurde, dass dies “besser” ist oder “hilft”. Und ich glaube der Energieverlust, der damit einhergeht, wird ebenfalls unterschätzt und auch unsere Kinder spüren, wenn wir nicht authentisch sind und reagieren entsprechend darauf.

Weiter wurde genannt, dass wir mehr Zeit haben, um über alles Mögliche nachzudenken, was dazu führt, dass wir viel mehr im Kopf gefangen und weniger im Hier und Jetzt sind. Hinzu kommt, dass wir weniger Zeit in der Natur verbringen, unsere Körper weniger bewegen, weniger mit unseren Händen wirken und daher auch weniger mit uns verbunden, sondern noch mehr im Kopf sind. Und all das verstärkt natürlich den ohnehin schon grossen Mentalload.

Zudem können wir heute viele Dinge, die früher körperlich anstrengend und zeitinsiv waren, bequemer erledigen oder erledigen lassen. Dadurch hat sich jedoch auch unser Tempo beschleunigt, da wir weniger “verlangsamende” Aktivitäten in unserem Alltag haben, was mich gleich zum nächsten Punkt bringt.

Schnelllebigkeit, Social Media & Fokus

Am häufigsten wurde definitiv unser Umgang mit den sozialen Medien genannt sowie die technischen Fortschritte, die dazu geführt haben, dass sich unser Lebenstempo massiv beschleunigt und sich auch unser natürlicher Rhythmus verschoben hat.

Die ständige Erreichbarkeit durch unser Handy wird als belastend wahrgenommen. Ein Mami hat mir beispielsweise per Sprachnachricht ihre Gedanken mitgeteilt, während ihr Kind im Hintergrund gleichzeitig viele Fragen gestellt hat. Und das beschreibt diese Situation ziemlich treffend. Denn auch Sprachnachrichten können uns zwar miteinander verbinden und ermöglichen uns, uns auszudrücken aber - wie die sozialen Medien generell - verlagern sie unseren Fokus und führen ihn weg vom Alltag und der Präsenz bei unseren Kindern und auch weg von denjenigen Dingen, die wir vielleicht gerade erledigen wollten und dann weiter aufgeschoben werden (was uns dann ebenfalls wieder stressen kann).

Und selbst, wenn wir nur kurz zwischendurch eine Nachricht beantworten oder scrollen, kann uns dies viel länger beschäftigen und ablenken, als die effektive Zeit, die wir am Handy verbringen. Denn vielleicht sehen wir etwas, was unsere Stimmung beeinflusst, noch Stunden mit uns mitschwingt und uns so weiter beschäftigt und ablenkt (besonders in einer Zeit, in der nicht mehr wir, sondern der Algorithmus bestimmt, was wir sehen). Und auch der ständige Dopamin-Rush darf nicht unterschätzt werden. Gerade durch diesen erleben wir unseren Alltag dann plötzlich als langweiliger und nicht mehr gleich “erfüllend”. (eine Buchempfehlung an dieser Stelle ist übrigens Stolen Focus von Johan Hari. Falls du nicht gerne Bücher liest, habe ich die wichtigsten Punkte daraus in dieser Podcastfolge zusammengefasst.)

Ich frage mich oft, wie viel zusätzliche Energie ich hätte, wenn mein Handy nicht existieren würde. Und ich möchte es sehr bald ausprobieren, um den Unterschied zu sehen. Denn nicht nur ich glaube, dass dies eine grosse (Aus)wirkung auf uns hat, sondern auch viele Nachrichten, die ich erhalten habe, äussern diese Vermutung. Ein Mami hat es so schön formuliert und gesagt, dass die sozialen Medien uns aus der realen Welt heraus und in eine andere Welt hineinziehen und es uns dadurch viel weniger gelingt im Hier und Jetzt zu sein, da uns im Aussen so vieles verleitet.

Hinzu kommen dann noch die Vergleiche, die sowohl durch soziale Medien verstärkt stattfinden und sich auch auf unterschiedliche Alltagssituationen und Begegnungen ausweiten. Viele haben geschrieben, dass sie vermuten, dass man sich früher weniger miteinander verglichen hat (auch wenn ich mir da nicht ganz sicher bin, wenn ich daran denke, wie wichtig die äussere Erscheinung früher war) oder einfach weniger offen über Themen des Elternseins gesprochen und Dinge generell weniger hinterfragt wurden.

Klar ist, dass es früher weniger technische Reize und Ablenkungen gab und auch die ständige Erreichbarkeit weniger war. In den Worten eines Mamis:

“Es wird erwartet, dass Eltere immer schnell agieret und reagieret.

Und das ist erdrückend - nicht nur für uns, sondern auch für unsere Kinder.

Mehrfachbelastungen

Auch genannt wurden die höheren Lebenskosten, welche dazu führen, dass häufig beide Elternteile arbeiten müssen und sich bei Alleinbegleitenden der finanzielle Druck weiter erhöht. Nebst der Arbeit dann noch alle anderen Dinge im Blick zu haben, den Haushalt erledigen, einkaufen, Nachrichten beantworten, Organisatorisches abarbeiten usw. steigert das Stresslevel.

Auch spürt unsere Generation den Druck, alles gleichzeitig sein, tun oder haben zu müssen. Die Vereinbarkeit von Familie und Arbeit ist oftmals herausfordernd und führt zu unterschiedlichen Schuldgefühlen - sei es nun gegenüber unseren Kindern oder auch gegenüber unseren Arbeitgebenden & Teams (oder dann unserer Altersvorsorge).

Da es in unserer Generation auch häufiger Beziehungsabbrüche und/oder Scheidungen gibt, ist es als Frau wichtiger geworden, sich durch eine eigene Erwerbstätigkeit finanziell absichern zu können. Und da es mittlerweile viele unterschiedliche Lebensmodelle und Aufteilungen gibt, entstehen auch neue gesellschaftliche Erwartungen. Ein Mami hat mir geschrieben:

“Es sind viel grösseri und vielschichtigeri Erwartige ume was e Frau alles si muss. Nöd nur Mutter oder ebe nur Mutter, e Karriere nebedbi oder ebe nöd.”

Wünsche, Individualität und Prioritäten

Wir haben heute sicherlich auch mehr Möglichkeiten und der Wunsch nach Selbstverwirklichung sowie die individuelle Lebensgestaltung ist wichtiger geworden. Ein Mami schreibt mir, dass wir früher noch eher bereit waren, etwas zu “opfern”, für unsere Kinder da zu sein und uns dem Mami-Sein hinzugeben, während die Prioritäten sich heute verschoben haben und wir alles gleichzeitig sein und haben wollen. Ein anderes Mami schreibt, dass wir heute nach etwas streben, das gar nicht möglich und erreichbar ist und wir auch nie zufrieden sind, mit dem, was wir haben, sondern immer noch mehr wollen. Und wiederum ein anderes Mami glaubt, dass wir einfach zu faul geworden sind und vieles schon möglich wäre, wenn man es wirklich will.

Und allein in diesen Stimmen zeigen sich die unterschiedlichen Wahrnehmungen, Perspektiven und Realitäten, in denen wir uns befinden. Und es zeigt auch die Herausforderung, die wir als Eltern in dieser Zeit noch viel mehr haben; nämlich das übergeordnete Miteinander zu finden. Uns in den unterschiedlichen Lebensgestaltungen anzunehmen, ohne den Drang zu haben, diese ändern oder vergleichen zu wollen; denn so vieles kann mit- und nebeneinander existieren, wenn wir offener sind bzw. offen bleiben und uns von dem Gedanken lösen, dass es nur einen Weg gibt oder nur etwas richtig ist.

Aber klar ist, dass heute ein Übermass vorhanden ist. Wir haben in jeglichen Bereichen unglaublich viel Auswahl und treffen jeden Tag unzählige kleine und grosse Entscheidungen; sei dies welches Essen wir nun einkaufen, welches neue Spielzeug oder Kleidungsstück, welche Schule oder Kita unsere Kinder besuchen sollen usw. Kein Wunder, dass wir dabei manchmal entscheidungsmüde werden. In den Worten eines Mamis:

“Mir händ so viel Zügs, so viel Konsumsache, so viel Uswahl, so viel Idrück, so viel Ablenkig, so viel Freizytaktivitäte, so viel Weg, so viel Möglichkeite, so viel Verglich, so viel vo allem.”

So viel, dass manchmal alles ein bisschen zu viel ist, wir den Bezug und die Beziehung zu vielem verlieren, manches nicht mehr die gleiche Qualität besitzt und wir vielleicht gar nicht unbedingt grösser, sondern wieder einfacher träumen und das Wesentliche und Essentielle (neu) erkennen dürfen.

Fehlende Vernetzung

Und etwas Wesentliches ist sicherlich die Gemeinschaft. Ein weiterer Punkt, der mehrfach genannt wurde - die fehlende Vernetzung und wie viel wir heute alleine schaffen wollen/müssen und wie viel weniger wir mit- und aufeinander schauen. Wir wohnen isolierter, denken isolierter und sind isolierter. Mehrere Mamis schreiben, wie die Verantwortung früher in der Nachbarschaft aufgeteilt wurde (welche oft über mehrere Jahre stabil war und nur wenige Wechsel stattfanden) und heute das Dorf und auch der Zusammenhalt zwischen uns Müttern fehlt.

«Mer hend sehr tolli Nachbare gha. Da macht au viel us. Hend det ine und use chöne und sind willkomme gsi. Hüt chamer teils froh si, wenmer weiss wer mit eim am gliiche Ort wohnt.»

Auch wohnen wir oftmals nicht mehr gleich nah mit oder bei unseren Familien und haben dadurch weniger Unterstützungs- und Entlastungsmöglichkeiten. Und gerade die ältere Generation übernimmt aktuell eine grosse Rolle in der Kinderbetreuung und ich höre im Austausch mit unterschiedlichen Grosseltern auf Spielplätzen und in der Nachbarschaft immer wieder, wie intensiv dies - teilweise noch nebst eigener Erwerbstätigkeit - für sie ist.

Weitere Veränderungen

Abschliessend haben einige auch noch geschrieben, dass sich die Anforderungen generell verändert haben. Es sind mehr Ansprüche und Erwartungen da - sowohl an uns Eltern als auch an unsere Kinder. Gleich mehrere Mamis schrieben, dass unglaublich viel Organisatorisches anfalle, dauernd viele Termine anstehen, alles online abgemacht werden muss, man auch für Schulen ständig erreichbar und überall eingebunden und dabei sein sollte. Ein anderes Mami schrieb mir, dass auch die Erwartungen an unsere Kinder grösser geworden seien und beispielsweise weniger Toleranz vorhanden ist fürs Laut- oder Aktiv-sein aber auch der schulische Druck enorm gewachsen ist. Und ein weiterer Grund der genannt wurde ist, dass wir heute tendenziell später Kinder bekommen und unsere Körper daher vielleicht auch mehr Energie brauchen oder wir allgemein gesundheitlich angeschlagener sind und daher eine Schwangerschaft sowie die Zeit danach intensiver für unser gesamtes System sein kann.

Klar ist, dass die aktuelle Zeit in unterschiedlichen Hinsichten und Bereichen herausfordernd ist. Und dass sich vieles wieder verlangsamen, entspannen und auch verändern darf. Die Frage ist nur, was, wann und wie. Und ich glaube auch darauf gibt es keine einheitliche Antwort, sondern wieder viele unterschiedliche und individuelle Wege, die wir mehr und mehr erkennen und dann auch (voraus)gehen dürfen.

I don’t want to manage my motherhood, I want to experience it.
— Nora Kazman
Corinne Hefti