Ein Paar Fragen an Grosseltern

Vor einigen Wochen kam ich auf dem Spielplatz mit einem Grossmami ins Gespräch. Wir sprachen über die Unterschiede von heute zu früher und sie erzählte mir, dass damals, als sie Mutter wurde und ihr Baby an einem Abend sehr lange weinte, ihre Nachbarin klingelte und ihr anbot, einen kleinen Spaziergang an der frischen Luft mit dem Kinderwagen zu machen, damit sie kurz durchatmen kann. Wir mussten beide lachen (auch wenn es eigentlich eher traurig ist), denn heute wäre es wohl genau umgekehrt, und viele Nachbar*innen würden an die Wand klopfen im Sinne von «könntet ihr bitte mal ruhig sein» und dies fasst bereits einige Veränderungen der letzten Jahre und auch die neuen Herausforderungen, denen wir als Eltern begegnen, zusammen.

Als Mami und Sozialpädagogin mache ich mir immer wieder viele Gedanken über die Art und Weise, wie wir unsere Kinder begleiten. Inspiriert von diesem Gespräch entschied ich mich dafür, einen Fragebogen für Grosseltern zu erstellen, um noch mehr Zusammenhänge (als auch Unterschiede) zwischen unseren verschiedenen Generationen erkennen und teils verloren gegangene Weisheiten wieder sichtbar machen zu können.

Nachfolgend fasse ich die Antworten, welche ich von den Grosseltern darauf erhalten habe, zusammen und hoffe, dass auch du einiges als Anregung daraus mitnehmen kannst. (An dieser Stelle möchte ich mich zudem von Herzen bei allen Grosseltern bedanken, die ihre Erfahrungen, Gefühle und Ansichten mit mir geteilt und sich die Zeit dafür genommen haben.)

♡ ♡ ♡ 

Frage 1: Wie viele Kinder hast du/habt ihr?

Alle Antworten waren zwischen zwei und fünf Kindern.  

Anmerkung von mir:
In unserer Generation gibt es tendenziell mehr Einzelkind-Familien, als dies früher der Fall war. Dies vermutlich aufgrund dessen, dass wir später Kinder bekommen, mehr Trennungen/Scheidungen haben, uns aufgrund von finanziellen Ressourcen oder auch energetischen Kapazitäten bewusst dafür entscheiden, weniger Unterstützung und nukleare Familienstrukturen haben, allgemein mehr Druck erleben, usw. Zwei oder drei Kinder zu haben, ist ebenfalls immer noch weit verbreitet. Eine Grossfamilie mit 4 oder 5 Kindern ist heute hingegen eher selten.

Frage 2: Welchen Altersabstand haben deine Kinder (falls du/ihr mehrere habt)? 

Die Antworten lagen zwischen 2 – 4 Jahren.

Anmerkung von mir:
Dieser durchschnittliche Altersabstand sieht man auch heute noch mehrheitlich.


Frage 3: Wie hast du/habt ihr damals die Betreuung organisiert oder aufgeteilt?

In allen Antworten war unter der Woche mehrheitlich die Mutter für die Betreuung der Kinder verantwortlich, während der Vater gearbeitet hat. Teils erhielten die Mütter Unterstützung an einem Tag pro Woche von den eigenen Eltern und sobald die Kinder alt genug waren, um auch kurz allein zu sein, gab es Mütter, die in einem Teilzeitpensum wieder gearbeitet haben. Die Rollenaufteilung war in diesem Sinne noch sehr «klassisch» mit einer Ausnahme:

 «Mein Mann hat gearbeitet, ich war vollumfänglich für die Kinder da. Mein Mann hatte als Lehrer zwei freie Nachmittage, einer gehörte ihm für seine Bedürfnisse, den anderen konnte ich zur freien Verfügung nutzen. Die Ferien haben wir aufgeteilt, ein Drittel gemeinsam mit den Kindern, ein Drittel für ihn, der andere für mich, je manchmal mit und manchmal ohne Kinder.»

Anmerkung von mir:
Heutzutage ist die Rollenaufteilung nicht mehr so klar, wie dies vielleicht früher noch der Fall war. Die feministische Bewegung hat hier sicherlich ihren wertvollen Beitrag geleistet, auch wenn man hier immer besonders genau hinschauen darf. Denn für mich bedeutet Feminismus, dass wir als Frauen selbst herausfinden und entscheiden dürfen und können, was wir möchten und es daher auch nicht anti-feministisch ist, wenn man sich für eine «klassische» Rollenverteilung entscheidet.

Der andere Grund, weshalb sich die Rollenverteilung geändert bzw. aufgelockert hat, ist vermutlich auch, dass in vielen Fällen ein Einkommen nicht mehr ausreicht und daher beide Eltern arbeitstätig sein müssen oder sein möchten. In unserer Generation sieht man die unterschiedlichsten Aufteilungen, welche einerseits das Verständnis füreinander vergrössern aber auch eine zusätzliche Mehrfachbelastung darstellen können. Hinzu kommt, dass es auch Familien gibt, die aus zwei Mamis oder Papis bestehen oder sich aus alleinbegleitenden Elternteilen zusammensetzen.

(Falls es dich interessiert; innerhalb von Genius Care gehe ich noch vertiefter auf Studien ein, welche die Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten von Mamis und Papis und deren Rolle, Bedeutung und Aufgabe auf die Entwicklung der Kinder beleuchten.)

Frage 4: Hattest du/ihr zusätzliche Unterstützung, wenn ja, welche? 

Mehrheitlich erhielten sie Unterstützung von den eigenen Eltern oder Schwiegereltern, teilweise auch von der Gotte oder dem Götti, selten von ersten Kinderbetreuungsstätten und ansonsten innerhalb der Nachbarschaft.

«Wir haben uns auch manchmal als Nachbarsmütter zusammengetan - abwechslungsweise kochte eine für alle, gegessen haben wir zusammen. Danach spielten die Kinder miteinander, und wir Frauen hatten etwas Zeit für Kaffeegespräche. Das tat damals allen gut!»

Eine Antwort hat mich besonders zum Nachdenken gebracht:

«Nein… warum auch…?»

Anmerkung von mir:
Gerade nach dem Lesen der oberem Antwort, habe ich mich gefragt, wieso ich das Eltern-Sein teilweise so intensiv erlebe, dass Unterstützung für mich zentral ist. Natürlich darf man an dieser Stelle nicht vergessen, dass sich auch viele Haltungen und Ansichten verändert haben und unsere Generation die Kinder wieder anders begleitet, als dies vielleicht noch vor einigen Jahren der Fall war. Hinzu kommt auch, dass die sozialen Medien einen grossen Einfluss haben – sowohl auf unsere Zeitressourcen als auch auf unsere Erwartungen und unser Denken. Und bestimmt führen auch noch viele weitere Faktoren dazu, dass der Druck allgemein gestiegen ist, das Eltern-Sein oftmals anstrengender erlebt und Unterstützung daher sowohl für die eigene Gesundheit aber auch für diejenige des gesamten Familiensystems in der heutigen Zeit beinahe unabdingbar ist.

Auch heute sind aber in erster Linie (nebst den KITA’s) die eigenen Eltern/Schwiegereltern in die Betreuung eingebunden – sofern diese in der Umgebung wohnen, Kapazität haben und auch der Kontakt noch vorhanden ist. Die Rolle des Götti oder der Gotte erlebe ich mittlerweile als weniger bedeutend, vielleicht auch deshalb, da die religiöse Funktion dahinter oftmals verschwunden ist. Persönlich fehlt mir besonders der Gemeinschaftsaspekt, welcher eine Grossmutter beschrieben hat. Wir haben zwar das Glück, in unserer Nachbarschaft unglaublich gut vernetzt zu sein und besonders an Wochenenden ist die ganze Strasse und der Spielplatz immer belebt aber unter der Woche besuchen mittlerweile viele Kinder eine KITA (oder einen Hort) und man trifft draussen weniger Mamis und Papis mit ihren Kindern an. (so erlebe ich dies zumindest)

Frage 5: Was fandest du damals besonders schön und was besonders herausfordernd? 

Als besonders schön wurde Folgendes genannt:

  • Immer für die Kinder da zu sein (wenn sicher auch gleichzeitig herausfordernd)

  • Trotzdem zwischendurch Zeit für sich zu haben

  • Auf Unterstützung zurückgreifen zu können

  • Beobachten zu dürfen, wie die Kinder sich entwickeln

  • Die gute Entwicklung der Kinder zu sehen

  • Sehr viel Zeit mit den Kindern verbringen zu dürfen (wurde mehrfach erwähnt) und ihr Aufwachsen so nah begleiten zu können

  • Gemeinsame Zeit mit den eigenen Eltern (Grosseltern) verbringen zu dürfen

  • Eine zufriedene Familie zu haben

«Es ist etwas vom Schönsten.. die Kinder aufwachsen sehen… und sie begleiten dürfen.»

Als herausfordernd wurde erlebt:

  • Mehreren Kindern gleich gerecht zu werden

  • Unfälle zu vermeiden

  • Alles unter einen Hut zu bringen

  • Keine zusätzliche Unterstützung zu haben (da eigene Eltern bereits verstorben waren und/oder Schwiegereltern nicht in der Nähe wohnten)

  • Mann, der beruflich oft unterwegs oder auch allgemein stark eingenommen war

«Herausfordernd war, dass mein Mann so sehr von seinem Beruf absorbiert war, dass er wenig Interesse an den Aktivitäten der Kinder zeigte, und mich auch oft spüren liess, dass mein Leben zu Hause ein „Schoggijob“ wäre, während er die ganze Verantwortung für die Finanzen habe und schwer an seinem Beruf zu tragen hätte. Später erweiterten wir unser jeweiliges Bewusstsein dann jedoch beide, indem wir gegenseitig erkannten, was der/die Partner/in für die Familie getragen und erfüllt hatte!»

Anmerkung von mir:
Gerade das letzte Beispiel zeigt, wie wertvoll auch eine durchmischte Rollenaufteilung sein kann, um das gegenseitige Verständnis zwischen Beruf und Familie (Berufung) zu vergrössern.

Frage 6: Gibt es etwas, dass du/ihr rückblickend anders machen würdet? Wenn ja, was? 

Mehrheitlich war die Antwort auf diese Frage «Nein», was mich ehrlicherweise etwas überrascht hat. Vielleicht ist das beständige Hinterfragen und Überdenken aber auch eine starke Eigenschaft unserer Generation. :-)

Eine Antwort war, dass sie sich in der Partnerschaft besser hätten absprechen können, was gar nicht so einfach gewesen sei.

Klare (finanzielle) Absprachen wurden von einem anderen Grosselternteil hingegen als besonders gelungen erwähnt:

«Ich finde, dass wir es grundsätzlich gut gemacht haben. Auch mit dem Finanziellen waren wir sehr paritätisch gewesen. Wir teilten jeweils jeden verdienten Franken (sogar gewonnenes Wettgeld oder kleinste Zusatzverdienste durch Nachhilfestunden etc.), was beiden ein befreiendes Gefühl gab, ohne dass je Missgunst oder Ärger entstanden wäre. Wir hatten auch ganz klare Abmachungen, was wir jeweils vom eigenen Geld bezahlen mussten - sehr hilfreich und verantwortungsbewusst!»

Genannt wurde auch noch, dass man ab einem gewissen Alter die Kontrolle verliert, was die Kinder tun, wenn man nicht mehr dabei ist.

Anmerkung von mir:
Vielleicht ist es auch interessant, sich als Mami oder Papi diese Frage einmal selbst zu stellen. Wenn ich auf die letzten fast 3 Jahre zurückblicke, wüsste ich gerade auch nicht, was ich anders machen würde. All die Herausforderungen, die ich/wir hatten und auch diese Intensität in gewissen Momenten hat es irgendwie gebraucht, damit ich als Mami oder auch wir als Paar mitwachsen und uns ebenfalls weiterentwickeln konnten.

Frage 7: Bist du in der Betreuung deiner Enkelkind(er) eingebunden? Wenn ja, inwiefern? 

Hier war die Antwort durchgehend «Ja» und dies regelmässig.

Im Schnitt wöchentlich 1-2 Tage, an denen mit den Enkelkindern gespielt wird, Mittagessen zubereitet, gemeinsam gegessen, in den Schlaf begleitet, in den Kindergarten oder die Schule gebracht oder abgeholt wird und manchmal auch als zusätzliche Person im Alltag um die Rundumpräsenz der Eltern zu entlasten.

Zusätzlich dazu unterstützen die Grosseltern auch, wenn die Eltern mal weg sind, krank werden oder andere Sondereinsätze im Beruf haben.

Anmerkung von mir:
Es muss einfach kurz gesagt werden: Grosseltern sind die Besten! DANKE für eure Liebe, eure Zeit, Präsenz, Unterstützung, Wertschätzung und auch die spannenden Diskussionen, welche auch die unterschiedlichen Sichtweisen manchmal auslösen.

Frage 8: Falls du in die Begleitung deiner Enkelkind(er) eingebunden bist, wie erlebst du dies? 

Alle Grosseltern erleben es als bereichernd, spannend, positiv, freudvoll, befriedigend und wunderschön.

Sie geniessen es, dass sie Zeit haben oder sich diese Zeit nehmen können und erwähnten mehrfach, wie schön es ist, ihre Enkelkinder aufwachsen zu sehen, ihre Liebe zu erfahren und auch Sachen aus der eigenen Kindheit mit ihnen teilen zu können – und dies ohne im gleichen Ausmass für den gesamten Haushalt oder die Erziehung verantwortlich zu sein, wie dies damals bei eigenen Kindern der Fall war.

Einige erwähnten jedoch auch die Herausforderungen im Generationenunterschied.

«Mit grosser Befriedigung. Aber die Erziehungsvorstellungen sind auch unterschiedlich. Jede Generation macht es anders.»

Anmerkung von mir:
Es war sehr berührend, diese durchweg positiven und schönen Antworten zu lesen. Es hat mir auch eine erneute Dankbarkeit gebracht für alles, was die vorherigen Generationen für uns gemacht haben. In unserer Zeit sind wir so schnell und gut darin, all diejenigen Dinge zu sehen, die vielleicht hätten anders laufen können/sollen und uns in unserer Entwicklung vielleicht auch negativ beeinflusst oder geprägt haben. Dabei dürfen wir aber nie vergessen, was unsere Eltern alles FÜR UNS gemacht, verändert und auch bereits aufgelöst haben – mit dem Wissen und denjenigen Ressourcen, die sie damals hatten. Und genau dasselbe machen wir aktuell mit und für unsere Kinder und so bringt sich jede Generation übergreifend wieder etwas weiter. Wir stehen dabei ständig auf den Schultern der vorangegangenen Generation(en) und können so dankbar sein dafür, dass wir aufgrund dessen wieder eine neue Sichtweise entwickeln können. Und wir dürfen uns dabei auch von dem Denken lösen, dass alles immer gleich gemacht werden muss und in gewissen Hinsichten wieder etwas lockerer werden und sehen, dass vieles von früher auch heute noch wertvoll sein oder als Brücke für Neues dienen kann. Kinder können zudem gut mit Unterschieden umgehen und es ist auch ein wichtiges Lernfeld, wenn nicht alle Erwachsene alles gleich machen, handhaben oder sehen - auch wenn es natürlich wichtig ist, dass die zentralen Werte der Eltern akzeptiert werden.

Grosseltern haben so eine wichtige, grosse und auch schöne Rolle für unsere Kinder. Von allen Säugetieren gibt es nebst uns Menschen nur noch 4 Walarten, die nach ihren fruchtbaren Jahren so lange leben, um die Rolle von Grosseltern übernehmen zu können und das vermutlich, um eine solch starke Präsenz einzunehmen, Weisheiten weiterzugeben und damit die nächste Generation unterstützen zu können.

Dann für mich die spannendste Frage 9: Eltern-Sein wird heute oft als anstrengend(er) empfunden. Was denkst du, was die Gründe dafür sein könnten (oder was sind deine Gedanken, wenn du dies anders wahrnimmst)? 

Genannt wurde, dass Eltern heute zu viel wollen, zu viele Aktivitäten planen und das Gefühl haben, den Kindern alles ermöglichen zu müssen. Nachfolgend ein Ausschnitt aus drei verschiedenen Antworten dazu:  

«Ich erlebe die Bemühungen der Eltern aus meiner Sicht als ungeheuer anstrengend, weil sie keine Fehler machen möchten, sich rund um die Uhr nur absolut einsetzen für das Wohl der Kinder, so dass ihnen keine oder kaum Zeit bleibt für ihre eigenen Interessen und Bedürfnisse. Die Kinder sind alles, stehen über allem, was diese natürlich auch recht machtvoll auszunutzen verstehen.»

«Täglich muss ein Programm veranstaltet werden. Den Kindern wird soo viel geboten, um sie zu fördern, zu unterhalten, zu bespassen. Da kommt schon ab und zu die Frage auf, ob dies eine gute Entwicklung ist? Ob die Kinder nicht auch überfordert werden? Ob man ihnen nicht zu viel abnimmt und ihnen zu wenig zutraut?! Es entwickeln sich deshalb auch oft Ängste, die Eltern eigentlich gerade verhindern wollten?»

«Ich glaube, dass sich die Eltern noch viel mehr unter Druck setzen, ihrem Kind alles bieten zu können.»

Ebenfalls mehrfach erwähnt wurde die reduzierte Präsenz aufgrund der Berufstätigkeit von beiden Eltern:  

«Die heutigen Eltern haben die Kinder … so nebenbei..!… was ich sehr schade finde und auch gemein… den Kindern gegenüber.»

Allgemein wurde auch der erhöhte Druck von aussen, das grössere Stresslevel und die unzähligen (Wahl)möglichkeiten genannt, die es heute gibt:

«Die heutige Zeit ist stressiger als früher, auch in der Arbeitswelt muss alles zackzack gehen. Die Digitalisierung ist auch nicht immer gut und manchmal wollen die heutigen Familien viel zu viel machen und sich leisten können, statt eine ruhige Zeit miteinander zu verbringen.»

«Man darf es nicht falsch verstehen. Aber heute wollen viele Eltern mehr oder alles. Dadurch steigt die Belastung und Stress (sage zwar immer, Stress gibt es nicht). Doppelverdiener und die Kinder irgendwo platzieren. Kinderhort, etc. sind falsche Möglichkeiten. Die Schulen, Behörden und die Politik macht es auch nicht einfacher. Kinder sollen schon alles können, wenn sie eingeschult werden. Kinder sollten noch Kinder bleiben dürfen.»

Anmerkung von mir:
Vieles, was erwähnt wurde, kann ich gut verstehen und manche Ansichten davon teile ich ebenfalls. Weniger ist vielfach mehr und in unserem schnellen Tempo und stressigen Alltag vergessen wir teilweise, wie wichtig unstrukturierte Zeit, freies Spiel UND auch unsere Präsenz für Kinder ist. (An dieser Stelle kann ich das Buch «Simplicity Parenting» von Kim John Payne & Lisa M. Ross sehr empfehlen oder innerhalb von
Genius Care tauchen wir in der Woche 4 ebenfalls tief in diese Themen ein und ich zeige auch auf, weshalb beispielsweise die gesamte «frühe Förderung» problematisch und kritisch ist.)

Den grössten Generationensprung gab es sicherlich auch in der Hinsicht, dass heute oftmals beide Eltern arbeitstätig sind. Dies hat mehrere Gründe und einer davon ist, dass die Lebensunterhaltskosten gestiegen sind, zwei Einkommen oftmals notwendig sind UND auch unser materieller Lebensstil und die Aufrechterhaltung von diesem für uns zentraler geworden ist. Auch da dürfen wir genau hinschauen, hineinfühlen, abwägen und neue Wege und Möglichkeiten suchen und finden, um die Vereinbarkeit erleichtern, verbessern und auch flexibler arbeiten zu können.

Gleichzeitig dürfen wir uns dabei auch immer wieder fragen, was uns eigentlich wichtig ist. Was wollen wir? Was brauchen wir wirklich? Welche zentralen Bedürfnisse haben unsere Kinder und welche wir? Denn wir können «alles» haben, die Frage ist nur, ob alles gleichzeitig möglich ist, worauf wir unseren Fokus in welcher Phase gerade legen möchten oder auch was unsere jeweilige Definition von «alles haben» ist und wie wir diese gegebenfalls anpassen dürfen, damit es wirklich «alles» umfasst.  

Auch frage ich mich oft, wieso es in unserer Generation teilweise als anstrengender oder schwieriger erlebt wird, mit dem Kind zu Hause zu sein. Natürlich haben wir andere Ansprüche und Werthaltungen in der Begleitung und sind gleichzeitig auch offener geworden, was den Umgang mit unseren Emotionen, das Auseinandersetzen mit eigenen Thematiken und das Ansprechen von Schwierigkeiten angeht. Zudem ist vermutlich auch die Mehrfachbelastung gestiegen und das Individualitätsbedürfnis grösser geworden. Man möchte sich selbst nicht «aufgeben» (obwohl Individualität natürlich auch im Eltern-sein gelebt und gefunden werden kann) und sich auch ausserhalb vom Eltern-sein verwirklichen. Und ich glaube, dass das auch enorm wichtig ist; dass man seine Leidenschaften und Interessen weiter verfolgen kann und diese genügend Raum haben – nur dürfen dabei die zentralen Entwicklungsbedürfnisse unserer Kinder nicht auf der Strecke bleiben.

Hinzu kommt, dass unser gesamtes Gesellschaftssystem gerade in der Schweiz nicht besonders familienfreundlich ist und so viele Dinge unsere Aufmerksamkeit verlangen – sei dies der finanzielle Druck, die Erwartungen im Beruf, die fehlenden Möglichkeiten das Arbeitspensum und die Organisation anders aufzuteilen aber auch die generell die vielen Optionen, die uns jederzeit in sozialen Medien aufgezeigt werden und die ständige Erreichbar- und Ablenkbarkeit, welche uns mit unseren Handys begleitet. All das nimmt unseren Fokus und unsere Präsenz von unseren Kindern und unserem Familienleben weg und führt dazu, dass unsere Energie verzettelt, wir nirgends “richtig” da sind und dann alles anstrengender erleben.

In früheren Generationen war man auch oft noch mit diversen Arbeiten im oder rund ums Haus beschäftigt und die Kinder halfen mit, sobald sie alt genug waren. Viele dieser Tätigkeiten fallen heute weg und vielleicht fragt man sich als Eltern dann auch, was wir eigentlich den ganzen Tag mit unseren Kindern machen oder wer wir dabei sein sollen. Und besonders jüngere Kinder lieben es, Erwachsenen aktiv bei unterschiedlichen körperlichen Tätigkeiten zuzuschauen. Sie wollen sehen, was wir machen und weshalb. Unser Sohn beschäftigt sich beispielsweise am besten, wenn ich wirklich mit den Händen oder körperlich etwas mache. Er beobachtet mich dann vielleicht kurz, imitiert etwas und vertieft sich dann wieder in sein Spiel. Wenn ich hingegen am Laptop etwas arbeite, wird er viel unruhiger. Wenn Kinder also unsere Aufmerksamkeit verlangen, dann wollen sie vielleicht teilweise gar nicht unbedingt, dass wir mit ihnen spielen, sondern sie wollen, dass wir etwas machen, dass sie auch beobachten können und Bewegung und Transformation beinhaltet (welche sie dann wieder in ihrem Spiel imitiieren können). So wie Barbara Dewey einst sagte: «The child needs to see a life in order to imitate it.”

Aus diesem Grund ist Eltern-sein auch so eine wertvolle Zeit, in der wir uns wieder viel mehr fragen können, was uns eigentlich Freude macht, was wir gerne machen und wie wir dies wieder mehr in unserem Alltag MIT unseren Kindern einbauen können.  

Eltern-Sein hat in unserer aktuellen Zeit zudem generell einen viel zu niedrigen Stellenwert und bekommt wenig Wertschätzung. Es ist eine unsichtbare und massiv unterschätzte «Arbeit». Denn Eltern haben eigentlich die wichtigste Aufgabe und Rolle in der Begleitung ihrer Kinder und ich wünschte, dies wäre auch strukturell besser verankert und ein grösseres Bewusstsein vorhanden für die positiven Auswirkungen, die es auf unsere gesamte Gesellschaft hätte, wenn es möglich wäre, sich dieser wichtigen Aufgabe auch widmen zu können und entsprechend unterstützt zu werden.

Frage 10: Was würdest du Eltern in der heutigen Zeit gerne sagen/mitgeben?

Diese Antworten waren ebenfalls besonders interessant und ich werde nachfolgend viele davon wörtlich zitieren, damit die Botschaft auch so weitergegeben wird.

Mehrfach genannt wurde, dass wir die Zeit mit den Kindern so oft und lange wie möglich geniessen sollen. Genau diese Zeit gehe so schnell vorbei und schon seien die Kinder gross und selbständig und dann bereue man eventuell, dass man nicht da war;

«Wenn man sich für Kinder entscheidet, diese auch selber erziehen und jeden Tag mit ihnen genießen. Sie ziehen schneller von zuhause aus, als man meint. Zeit lässt sich nicht mit Geld ausgleichen.»

«Nutzt die Zeit…. kümmert euch mehr um die Kinder, geht weniger in die Ferien..! Die Zeit mit ihnen ist so kurz… aber soooo wichtig und wunderschön.»

«Weniger ist manchmal mehr!»

Auch die Herausforderung der Vereinbarkeit wurde genannt:

«Ich würde sagen… man kann sich heute entscheiden… für die Karriere oder für Kinder… macht das… und seid von Herzen dabei…- beides zusammen kommt nicht gut…»

Weiter möchten sie uns an Herz legen, wieder vermehrt auf unser eigenes Gefühl zu hören und sich auch mit eigenen Themen auseinanderzusetzen:

«Es ist mir bewusst, dass es auch das absolute Gegenteil gibt, dass es Eltern gibt, die zu wenig tun/geben können, die die Kinder mit dem Natel, dem TV, dem Laptop ruhigstellen, abspeisen, und es selbst ebenfalls so handhaben! Es sind riesige Unterschiede zu beobachten. Es ist wohl auch sehr schwierig, sich in der heutigen Zeit zu orientieren, aussen gibt es so viele Meinungen und Angebote! Welches ist das richtige Mass? Es braucht wirklich mehr Ausrichtung nach Innen, um dem eigenen Gespür, der eigenen Achtsamkeit wieder mehr Raum zu geben!»

«Das Kind spürt, ob es geliebt wird, lockert deshalb eure eigenen Ansprüche an euer Gutseinmüssen und überlasst mehr eurem Vertrauen, dass ihr gut genug seid. Das Kind ist stärker als ihr denkt! Widmet euch unbedingt eurer eigenen INNEREN Entwicklung, arbeitet eure eigenen Defizite, Traumas, Verletzungen und Triggerpunkte auf - evtl. mit professioneller Hilfe! Vieles, was als Problematik beim Kind zutage tritt, hat mit dir als Mutter, als Vater zu tun, kommt also nicht allein aus den Seelenanteilen der Kinder. Was ihr an euch heilt, wird auch beim Kind geheilt! Achtet auf eure Balance, auf eure Bedürfnisse! Benennt diese liebevoll bei den Kindern, damit sie ein Mitgefühl entwickeln können! Steht für euch ein, bevor ihr von euern Gefühlen überschwemmt werdet! Ihr müsst den Kindern nicht ALLES bieten!»

Auch der Umgang mit Medien wurde erwähnt:

«Verzichtet mehr auf eure Smartphones und widmet mehr Zeit den Kindern.»

Ein Grosselternteil erwähnte auch, dass wir die «alten» Werte nicht vergessen sollen, dass «neu» nicht immer besser ist und es manchmal auch wertvoll sein kann, Brücken zu schaffen und zurückzublicken:

«Nicht alles glauben, was neu und geschrieben ist. Wir haben früher vieles anders gemacht und unsere Kinder sind auch gross, gesund und intelligent geworden.»

Und als letzte Antwort auf diese Frage wurde auch noch eingebracht, dass wir uns gerade als Eltern weiterhin als Team sehen dürfen:

«Das Elternsein immer noch eine glückliche Partnerschaft sein sollte und nicht der Partner schafft. Haben auch nicht alles richtig gemacht. Vermutlich aber viel.»

Anmerkung von mir:
Wir leben in einer Zeit, die von Veränderung geprägt ist. Wir merken, dass es so nicht mehr weitergeht, dass vieles nicht mehr funktioniert und auch weder nachhaltig noch gesund ist. Aufgrund dessen sind viel mehr Fragezeichen, Zweifel und Unklarheiten aufgekommen und auch Unterschiede vorhanden, in der Art und Weise, wie wir unsere Kinder begleiten. Es gibt keine einheitliche Kultur oder Tradition mehr, welche eine klare Richtung oder Haltung vorgibt. Hinzu kommt, dass wir nicht mehr im selben Ausmass mit und um Kindern sind, wie dies vor einigen Jahren noch der Fall war und Kinder generell nicht denjenigen Platz in unserer Gesellschaft haben, denn sie einnehmen sollten. Daher fehlt es uns oft auch an Erfahrung und Wissen, wenn wir dann selber Kinder haben und meist sehen wir uns erst dann mit verschiedenen Fragen und Themen konfrontiert. All das führt dazu, dass wir manchmal verzweifelt im Aussen nach Antworten suchen und auf alle möglichen Expertinnen und Experten hören, statt auf uns und unser Gefühl. Und das ist etwas, was wir wieder viel mehr machen und lernen dürfen – die Ruhe suchen, mehr Raum in unserem Alltag schaffen und in all den Stimmen auch unsere eigene wieder hören & spüren können und dabei das Wesentliche, Wichtige und für uns Richtige wiedererkennen.


Corinne Hefti